Kraft der Selbststeuerung und Wechselwirkungen im System
Die Grundprinzipien Ganzheitlichkeit und Entwicklungsorientierung ziehen sich durch alle Trigon-Modelle und Methoden. Die neurowissenschaftliche Forschung bestätigt heute ihre Bedeutung für gelungene Entwicklungsprozesse. Was bedeutet das in der Praxis?
Eine zentrale Basis für unseren Zugang zur Führungskräfteentwicklung ist das dreigliedrige Menschenbild aus Körper, Seele und Geist. Es findet seine Entsprechung in den technisch-instrumentellen, sozialen und kulturellen Subsystemen der Organisation. Systemisch und ganzheitlich bedeutet, dass die einzelnen Elemente miteinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Aus den Wechselwirkungen ergeben sich Muster und die Eigenschaften
des Ganzen sind nicht aus den Eigenschaften seiner Teile erkennbar. Entwicklungsbegleitung bedeutet also, auf verschiedenen Ebenen Muster zu erkennen und zu verändern, um „die vorhandenen Richtungskräfte zu fördern“ (Friedrich Glasl). Denn Menschen wie Organisationen sind fähig zur Selbststeuerung bzw. zur „Selbstschöpfung“, sie haben einen freien Willen und die Fähigkeit zur Verantwortung. Sie können Ziele bewusst wählen.
Entwicklung von Führungskräften: Bewusstsein und Methoden vereinen
Wie sieht nun konkret ganzheitliche und entwicklungsorientierte Arbeit mit Führungskräften aus? Ein Grundprinzip ist die Unterscheidung menschlicher Bewusstseinsfunktionen in Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Wollen sowie Handlungsgedanken (als Vorstufe des Handelns), wie in der Grafik abgebildet. Sie werden durch verschiedene methodische Zugänge angesprochen und gleichzeitig in ihrer Vernetzung begriffen. Künstlerische, szenische, metaphorische und körperorientierte Methoden wurden in den letzten Jahren durch achtsamkeitsbasiertes Bewusstseinstraining ergänzt.
Für Otto Scharmer ist das Bewusstsein der Führungskraft der „blinde Fleck“ der Führung. Wie steht es um die Qualität der Bewusstseinsprozesse der Führungskraft? Welche Muster und Automatismen bestimmen ihr Denken, Fühlen, Wollen und somit letztlich ihr Handeln? Wie kann es gelingen, individuelle und kollektive Muster und Bewusstseinsprozesse zu erforschen und in ihrer Qualität zu verändern?1 Das ist angesichts komplexer Zusammenhänge und Herausforderungen heute eine zentrale Frage. Die mentale und innere Entwicklung von Führungskräften ist zur wichtigen Aufgabe von Leadership und Management Development geworden.2
In Führungstrainings nutzen wir daher Übungen aus der Achtsamkeitsmeditation, körperorientierte und kreative Methoden und verbinden sie mit erprobten Führungstools. Hier einige Beispiele: Die Übung „fokussierte Aufmerksamkeit“ erhöht die Fähigkeit zur Konzentration und Steuerung der eigenen Aufmerksamkeit (Wahrnehmen). Gleichzeitig fördert sie die differenzierte Beobachtung der Vorgänge im eigenen Bewusstsein, die durch die anschließende Reflexion verstärkt wird (Denken). „Offenes Gewahrsein“ ermöglicht, intuitive und kreative Prozesse zu stärken (alle Bewusstseinsfunktionen). Die „Mitgefühlsmeditation“ erhöht nachweislich die Fähigkeit zur Empathie mit sich selbst und anderen (Fühlen, Wollen). Körperorientierte Übungen (z.B. Body Scan) fördern eine differenzierte eigene Körperwahrnehmung und damit Präsenz und Stressabbau (Wahrnehmen, Fühlen). Durch solche konkreten erfahrungs- und trainingsbasierten Übungen lassen sich automatisierte Muster im Denken, Fühlen und Wollen erkennen und verändern. Führungspräsenz und -bewusstheit werden gestärkt. Dadurch geschieht die Anwendung professioneller Führungstools zu Selbstführung, Kommunikation, Konflikt oder Teamführung aus einer Haltung der Besonnenheit und Übersicht, der Fähigkeit zur Einfühlung und der bewussten Entscheidung (Handeln).
Neurobiologie und Achtsamkeit: Schlüssel zur Selbstführung
Die wissenschaftliche Erforschung der Wirksamkeit des ganzheitlichen und achtsamkeitsbasierten Ansatzes hat mit der neurobiologischen Forschung an Bedeutung gewonnen. Bereits vor über 20 Jahren wies der Neurowissenschaftler und Arzt Antonio Damasio (2002) mit umfangreichen Untersuchungen die zentrale Rolle von Emotionen und Körperreaktionen für Selbstführung und -steuerung nach. Die Fähigkeit, angemessene Entscheidungen zu treffen, Prioritäten zu setzen, Risiken einzuschätzen oder mit anderen adäquat umzugehen ist gestört, wenn das Gehirn nicht auf emotionale Zentren zurückgreifen kann. Neuere Forschung zur Neuroplastizität des Gehirns hat gezeigt, dass Mindfulness Training neben der Aufmerksamkeitssteuerung auch die Emotionsregulation, den Umgang mit Stress und das soziale Miteinander verbessern kann (vgl. die Forschungsarbeit von Britta Hölzel).
Ein Trainingsansatz, der die differenzierte Wahrnehmung von Körpersignalen, Emotionen und Gedanken verbindet und daraus bewusstes Handeln ableitet, stärkt die Selbstführungskompetenz von Führungskräften. Ganzheitliche Führungskräfteentwicklung bedeutet demnach, diese vernetzten Ressourcen zu nutzen und dadurch den individuellen Gestaltungs- und Verantwortungsraum – kurz den „Raum für Führung“– zu erweitern.
Literatur:
- Bauer, J. (2015): Selbststeuerung. Die Wiederentdeckung des freien Willens.
- Damasio, A. (2002): Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins.
- Goleman, D. (2013): Konzentriert Euch. Eine Anleitung zum modernen Leben.
- Hölzel, B. und Brähler, C., Hgg. (2015): Achtsamkeit mitten im Leben. Anwendungsgebiete und wissenschaftliche Perspektiven.
- Marturano, J. (2015): Mindful Leadership: Creating the Space to Lead.
- Scharmer, O. (2009): Theory U – Leading from the Future as It Emerges.
Marginalien:
1. Die mentale und innere Entwicklung von Führungskräften ist zur wichtigen Aufgabe von Leadership und Management Development geworden.
2. Führungskräfteentwicklung bedeutet den individuellen Gestaltungs- und Verantwortungsraum –den „Raum für Führung“ – zu erweitern.

1 In Scharmers Presencing Prozess (Theory U) ist die ganzheitliche Arbeit mit unterschiedlichen Bewusstseinsqualitäten in den verschiedenen Prozessschritten grundlegend (open mind, open heart, open will).
2 Dieser Trend wird auch in amerikanischen Business Schools deutlich, z.B. dem „Inner MBA“ (New York University), oder dem Vortrag „The Next in Chapter in Management: Developing an Executive Mind“ (Jeremy Hunter von der P. Drucker School of Management 2021).